Naturkleingarten: Perspektivwechsel beim Unkrautjäten
Ein Beitrag von Martina van Wesel
Wenn ich Unkraut jäte, setze ich mich auf mein Kniekissen und begebe mich dadurch eine Etage tiefer. Aug’ in Aug’ mit den Blütenköpfen. Eine tolle Position zum Beobachten von Insekten, aber auch allerlei anderem Getier. Ein interessanter Perspektivwechsel. Wenn man relativ ruhig sitzt und sich nicht zu hektisch bewegt, verlieren die Vögel ihre Scheu. Und dann kann man zum Beispiel dem Zaunkönig beim „Spazierengehen“ am Gartenboden zusehen, wie er immer wieder Insekten von den Unterseiten der Blätter sammelt. Man ist plötzlich mittendrin im Geschehen – im Ökosystem des Gartens. Darüber vergisst man auch schon mal das Unkrautjäten. Man taucht dabei praktisch in eine andere Welt, in einen anderen Kosmos ein.
In diesem Mikrokosmos hat jeder seine spezifische Rolle. Zum Beispiel die Ameisen: Am Anfang habe ich mich auch über die Ameisen geärgert, die regelmäßig meine Wiese in eine Mittelgebirgslandschaft umgestaltet haben. Aber mittlerweile habe ich sie akzeptiert. Sie verbessern den Boden, räumen tote Insekten und abgestorbenes Material aus dem Weg, spielen Gärtner und sind die bevorzugte Nahrung des Grünspechts, der öfter zu Besuch kommt. Da ich den Rasen auch nicht raspelkurz schneide, was ihn schneller vertrocknen lassen würde, sieht man die Ameisenhügel auch kaum. Haben die Ameisen ihr Quartier an einer ungeeigneten Stelle, zum Beispiel auf der Terrasse, aufgeschlagen und man möchte sie umsetzen, soll es ganz gut mit einem blickdichten Gefäß funktionieren. Man setzt das Gefäß mit der Öffnung nach unten auf ihren Hügel. Die Ameisen brauchen etwas Zeit, aber irgendwann nisten sie sich in das Gefäß und man kann sie samt Gefäß umsetzen. Ausprobiert habe ich es selbst noch nicht, aber es hört sich sehr vielversprechend an. Ameisen helfen, wie schon angedeutet, auch beim Gärtnern. Beim Verschleppen der Samen in den Bau bleibt auf dem Weg dorthin der ein oder andere Samen auf der Strecke und im nächsten Jahr blüht zum Beispiel eine Schlüsselblume an dieser Stelle. Schlüsselblumen können aber auch selbst „zaubern“: Man sagt ihnen nach, dass sie sich untereinander gerne mischen (hybridisieren). Bei mir scheint, aller Vermutung nach, eine pinkfarbene Kugelprimel mit einer Hohen Schlüsselblume ein engeres Verhältnis eingegangen zu sein. Das Ergebnis ist eine pinkfarbene Schlüsselblume.
Eine weitere Unterstützung des Gärtners ist der Regenwurm. Er zersetzt abgestorbene Pflanzenteile, lockert den Boden und erzeugt Humus. Er zieht Blätter in seine Gänge und beim Blätteraufsammeln lasse ich ihm immer seine „Blättertüten“, das wäre ja sonst, als wenn ich jemandem das Essen vom Tisch klaue. Auch im Herbst bin ich nicht zu ordentlich und lasse das ein oder andere Blatt auf der Wiese liegen. Ein paar Tage später sind diese von den Regenwürmern eingezogen worden. Wenn man übrigens an und unter der Gartenhecke Unkraut jätet, sollte man dort auch etwas nachsichtiger sein mit der Definition „Unkraut“. Ein niedriges Duft-Veilchen, Wilder Waldmeister oder die überall zu findende Akelei müssen nicht gerupft werden, solange sie keinen zum Stolpern bringen. Sie sehen hübsch aus, halten die Feuchtigkeit im Boden und die Insekten freuen sich. Apropos Akelei: Wenn man auf Augenhöhe mit der Blüte ist, sieht man, wie filigran sie aufgebaut ist. Für ein Projekt musste ich sie malen und bin fast daran gescheitert, weil sie sehr komplex ist.
Auch über das Moosentfernen sollte man zweimal nachdenken. Es speichert die Feuchtigkeit und macht das Gießen unnötig. Ich brauchte lange, um mich mit den Moosen anzufreunden, aber aus der neuen Perspektive Aug’ in Aug’ erkennt man ihre Schönheit: Manche haben Sternchen, manche Härchen oder Stiele mit kleinen Blasen und jeder Grünton ist anders.
Richtet man dagegen sein Augenmerk genauer auf die Blätter der Pflanzen, erkennt man auch hier Unterschiede: Da gibt es dünne, fleischige oder auch behaarte Blätter. Am Woll-Ziest (Stachys byzantina) zum Beispiel entdeckt man oft die Garten-Wollbiene, die sich für den Nestbau die „Wolle“, also die Härchen, zu einer Kugel formt. Bei mir im Garten wird der Woll-Ziest regelrecht geköpft: Die Blütenspitzen fehlen alle und sind zu einem kuscheligen Nest unter der nächsten Pflanze zu finden. Bisher habe ich noch nicht herausgefunden, wer sich da ein weiches, duftendes Bettchen gemacht hat. Sachdienliche Hinweise gerne an tinasnaturkleingarten@web.de. Blattschneiderbienen „stanzen“ förmlich Löcher (meistens) aus Rosenblättern für ihren Nestbau. Wenn man weiß, wer für die Löcher verantwortlich ist und dadurch auch gezeigt bekommt, dass die Pflanzen im Ökosystem des Gartens eingebunden sind, ist man mit dem Täter nachsichtiger. Besonders mit dem Blattfraß der Raupen bin ich versöhnt. Ohne Raupen gibt es keine Schmetterlinge und die Raupen sind ja wirklich oft hübsch anzusehen. Und nein, mit Nacktschneckenfraß habe ich mich noch nicht arrangiert ;-( Sieht man nicht nur genau hin, sondern hört auch ganz genau hin, hört man vielleicht Wespen, die sich Lagen von Holz abraspeln für den Nestbau. Ein Volk war mal ganz einfallsreich: Sie haben sich ihr Baumaterial gar nicht erst beschaffen müssen, sie haben einfach direkt im Sack mit der Holzwolle genistet. Sie waren friedliebend und machten uns beim Grillen in 5 Meter Entfernung keinen Ärger.
Der Garten hat mich in all den Jahren einiges gelehrt. Mein Blick hat sich verändert. Der Blick vom großen Ganzen, also vom Garten, hin zum Kleinen, zur Pflanze, zum Käfer. Vom Platz des Kleinen innerhalb des großen Ganzen – dem Ökosystem. Man kann sich das Ökosystem vorstellen wie ein dreidimensionales Netzwerk mit unendlich vielen Punkten, die alle irgendwie miteinander verbunden sind und interagieren. Dort ist eine kleine, nervige Mücke wichtiger Bestandteil des großen Ganzen. Das Ökosystem unterscheidet nicht nach Schädling oder Nützling wie wir Gärtner, sondern das Gleichgewicht muss stimmen. Mit diesem Wissen arrangiert man sich auch mit den kleinen Krabbeltieren oder wird vielleicht sogar neugierig auf sie. Wie es so schön heißt: vom „Iiih!“ zum „Aaah!“.
Neugierig? Führungen, Pflanzenliste, Gartenpläne und Kontakt gibt es unter tinasnaturkleingarten@web.de
Merlin Bird ID – Vögel bestimmen anhand von Tonaufnahmen und Fotos
ObsIdentify – Pflanzen und Tiere bestimmen anhand von Fotos; wenn man die Bilder hochlädt, schauen Profis drüber (Citizen Science)
Eine Wespe raspelt hörbar Holz vom Staketenzaun.Der Punk unter den Raupen: der Buchen-StreckfußDas Purpurstielige Hornzahnmoos ist eines von 1.000 Moosarten in Deutschland.Die komplexe Akelei, mit gespornten Blütenblättern wie HexenhüteEine „Blättertüte“ im Loch eines RegenwurmsEine Ameise hat sich Großes vorgenommen.
Ein Beitrag von Martina van Wesel
Wenn ich Unkraut jäte, setze ich mich auf mein Kniekissen und begebe mich dadurch eine Etage tiefer. Aug’ in Aug’ mit den Blütenköpfen. Eine tolle Position zum Beobachten von Insekten, aber auch allerlei anderem Getier. Ein interessanter Perspektivwechsel. Wenn man relativ ruhig sitzt und sich nicht zu hektisch bewegt, verlieren die Vögel ihre Scheu. Und dann kann man zum Beispiel dem Zaunkönig beim „Spazierengehen“ am Gartenboden zusehen, wie er immer wieder Insekten von den Unterseiten der Blätter sammelt. Man ist plötzlich mittendrin im Geschehen – im Ökosystem des Gartens. Darüber vergisst man auch schon mal das Unkrautjäten. Man taucht dabei praktisch in eine andere Welt, in einen anderen Kosmos ein.
In diesem Mikrokosmos hat jeder seine spezifische Rolle. Zum Beispiel die Ameisen: Am Anfang habe ich mich auch über die Ameisen geärgert, die regelmäßig meine Wiese in eine Mittelgebirgslandschaft umgestaltet haben. Aber mittlerweile habe ich sie akzeptiert. Sie verbessern den Boden, räumen tote Insekten und abgestorbenes Material aus dem Weg, spielen Gärtner und sind die bevorzugte Nahrung des Grünspechts, der öfter zu Besuch kommt. Da ich den Rasen auch nicht raspelkurz schneide, was ihn schneller vertrocknen lassen würde, sieht man die Ameisenhügel auch kaum. Haben die Ameisen ihr Quartier an einer ungeeigneten Stelle, zum Beispiel auf der Terrasse, aufgeschlagen und man möchte sie umsetzen, soll es ganz gut mit einem blickdichten Gefäß funktionieren. Man setzt das Gefäß mit der Öffnung nach unten auf ihren Hügel. Die Ameisen brauchen etwas Zeit, aber irgendwann nisten sie sich in das Gefäß und man kann sie samt Gefäß umsetzen. Ausprobiert habe ich es selbst noch nicht, aber es hört sich sehr vielversprechend an. Ameisen helfen, wie schon angedeutet, auch beim Gärtnern. Beim Verschleppen der Samen in den Bau bleibt auf dem Weg dorthin der ein oder andere Samen auf der Strecke und im nächsten Jahr blüht zum Beispiel eine Schlüsselblume an dieser Stelle. Schlüsselblumen können aber auch selbst „zaubern“: Man sagt ihnen nach, dass sie sich untereinander gerne mischen (hybridisieren). Bei mir scheint, aller Vermutung nach, eine pinkfarbene Kugelprimel mit einer Hohen Schlüsselblume ein engeres Verhältnis eingegangen zu sein. Das Ergebnis ist eine pinkfarbene Schlüsselblume.
Eine weitere Unterstützung des Gärtners ist der Regenwurm. Er zersetzt abgestorbene Pflanzenteile, lockert den Boden und erzeugt Humus. Er zieht Blätter in seine Gänge und beim Blätteraufsammeln lasse ich ihm immer seine „Blättertüten“, das wäre ja sonst, als wenn ich jemandem das Essen vom Tisch klaue. Auch im Herbst bin ich nicht zu ordentlich und lasse das ein oder andere Blatt auf der Wiese liegen. Ein paar Tage später sind diese von den Regenwürmern eingezogen worden. Wenn man übrigens an und unter der Gartenhecke Unkraut jätet, sollte man dort auch etwas nachsichtiger sein mit der Definition „Unkraut“. Ein niedriges Duft-Veilchen, Wilder Waldmeister oder die überall zu findende Akelei müssen nicht gerupft werden, solange sie keinen zum Stolpern bringen. Sie sehen hübsch aus, halten die Feuchtigkeit im Boden und die Insekten freuen sich. Apropos Akelei: Wenn man auf Augenhöhe mit der Blüte ist, sieht man, wie filigran sie aufgebaut ist. Für ein Projekt musste ich sie malen und bin fast daran gescheitert, weil sie sehr komplex ist.
Auch über das Moosentfernen sollte man zweimal nachdenken. Es speichert die Feuchtigkeit und macht das Gießen unnötig. Ich brauchte lange, um mich mit den Moosen anzufreunden, aber aus der neuen Perspektive Aug’ in Aug’ erkennt man ihre Schönheit: Manche haben Sternchen, manche Härchen oder Stiele mit kleinen Blasen und jeder Grünton ist anders.
Richtet man dagegen sein Augenmerk genauer auf die Blätter der Pflanzen, erkennt man auch hier Unterschiede: Da gibt es dünne, fleischige oder auch behaarte Blätter. Am Woll-Ziest (Stachys byzantina) zum Beispiel entdeckt man oft die Garten-Wollbiene, die sich für den Nestbau die „Wolle“, also die Härchen, zu einer Kugel formt. Bei mir im Garten wird der Woll-Ziest regelrecht geköpft: Die Blütenspitzen fehlen alle und sind zu einem kuscheligen Nest unter der nächsten Pflanze zu finden. Bisher habe ich noch nicht herausgefunden, wer sich da ein weiches, duftendes Bettchen gemacht hat. Sachdienliche Hinweise gerne an tinasnaturkleingarten@web.de. Blattschneiderbienen „stanzen“ förmlich Löcher (meistens) aus Rosenblättern für ihren Nestbau. Wenn man weiß, wer für die Löcher verantwortlich ist und dadurch auch gezeigt bekommt, dass die Pflanzen im Ökosystem des Gartens eingebunden sind, ist man mit dem Täter nachsichtiger. Besonders mit dem Blattfraß der Raupen bin ich versöhnt. Ohne Raupen gibt es keine Schmetterlinge und die Raupen sind ja wirklich oft hübsch anzusehen. Und nein, mit Nacktschneckenfraß habe ich mich noch nicht arrangiert ;-( Sieht man nicht nur genau hin, sondern hört auch ganz genau hin, hört man vielleicht Wespen, die sich Lagen von Holz abraspeln für den Nestbau. Ein Volk war mal ganz einfallsreich: Sie haben sich ihr Baumaterial gar nicht erst beschaffen müssen, sie haben einfach direkt im Sack mit der Holzwolle genistet. Sie waren friedliebend und machten uns beim Grillen in 5 Meter Entfernung keinen Ärger.
Der Garten hat mich in all den Jahren einiges gelehrt. Mein Blick hat sich verändert. Der Blick vom großen Ganzen, also vom Garten, hin zum Kleinen, zur Pflanze, zum Käfer. Vom Platz des Kleinen innerhalb des großen Ganzen – dem Ökosystem. Man kann sich das Ökosystem vorstellen wie ein dreidimensionales Netzwerk mit unendlich vielen Punkten, die alle irgendwie miteinander verbunden sind und interagieren. Dort ist eine kleine, nervige Mücke wichtiger Bestandteil des großen Ganzen. Das Ökosystem unterscheidet nicht nach Schädling oder Nützling wie wir Gärtner, sondern das Gleichgewicht muss stimmen. Mit diesem Wissen arrangiert man sich auch mit den kleinen Krabbeltieren oder wird vielleicht sogar neugierig auf sie. Wie es so schön heißt: vom „Iiih!“ zum „Aaah!“.
Neugierig? Führungen, Pflanzenliste, Gartenpläne und Kontakt gibt es unter tinasnaturkleingarten@web.de
(aus: Der Grüne Bote. Mit freundlicher Genehmigung des Stadtverbandes Essen der Kleingärtnervereine e.V.)
Literaturempfehlung
Der Moosgarten – Naturnah gestalten mit Moosen, Michael Altmoos
Apptipps
Merlin Bird ID – Vögel bestimmen anhand von Tonaufnahmen und Fotos
ObsIdentify – Pflanzen und Tiere bestimmen anhand von Fotos; wenn man die Bilder hochlädt, schauen Profis drüber (Citizen Science)