Natur-Erlebnis-Schulhof Unterschleißheim wird weggebaggert –

Komplettes Versagen von Politik, Naturschutz und Pädagogik

Offener Brief von Dr. Reinhard Witt

Man muss sich das einmal vorstellen. 3900 m² Natur inmitten der Stadt, in einem dicht bebauten Siedlungsraum, in dem an Natur eklatanter Mangel herrscht. Das ist der Natur-Erlebnis-Schulhof der Michael-Ende-Schule im oberbayerischen Unterschleißheim. Man sieht ihm das von außen nicht an. Man müsste hineingehen. Einmal nachschauen, was da so ist. Man müsste…

Die bayerische Staatsregierung hält den Arten- und Naturschutz hoch. Wenn gefährdete Tier- oder Pflanzen, sogenannte Rote-Liste-Arten in Bauvorhaben aufkreuzen, wird es kritisch. Dieser Schulhof beherbergt aberdutzende Rote-Liste-Arten. Fangen wir bei Insekten an:

  • Rote Schuppensandbiene (Rote Liste Bayern 1 = vom Aussterben bedroht)
  • Glockenblumen-Schmalbiene (RL 2 = stark gefährdet)
  • Senf-Blauschillersandbiene (RL 3 = gefährdet)
  • Knautien-Sandbiene (RL 3)
  • Braune Schuppensandbiene (RL 3)
  • Graue Schuppensandbiene (RL 3)
  • Luzerne-Blattschneiderbiene (RL 3)
  • Gezähnte Glanzbiene (RL 3)
  • Lauch-Maskenbiene (RL 3)

Darüber hinaus tummeln sich dutzende weitere Wildbienenarten im Gelände, die ebenfalls sehr selten geworden sind oder deren Gefährdungszustand bislang nicht erfasst werden konnte.

Aber das ist längst nicht alles. Dazu kommen unter den Reptilien zum Beispiel die ebenfalls gefährdete Zauneidechse, die inzwischen in Bayern auf die Rote Liste gerutscht ist.  Unter den Vögeln finden sich seltene und bedrohte Arten wie der Gartenrotschwanz (RL 3) oder der ebenfalls sehr seltene Gelbspötter. Und betrachten wir erst die so hochbedrohten und vom Artenschutz hochgeschätzten Fledermäuse wird die Lage besonders kritisch. Hier fliegen nachts zum Beispiel der Große Abendsegler (RL 3), außerdem Braunes Langohr, Zwergfledermaus oder Mausohr. Schließlich gibt es hier genug großes Insektenfutter.

Normalerweise muss für ein Bauvorhaben auf einem Areal mit diesem hohen naturschutzfachlichen Wert eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) gemacht werden. Dazu schickt man Biologen über das Gelände, die den Bestand erfassen. Im ärgsten Fall darf dann gar nicht mehr gebaut werden oder es werden sehr teure Ausgleichsmaßnahmen nötig. Siehe Zauneidechsenumsiedlung beim Stuttgarter Hauptbahnhof. Nur: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Stadt Unterschleißheim hat nicht hingucken wollen, als sie den Neubau der Grundschule an der Raiffeisenstraße beschloß, und dafür ausgerechnet den alten Schulhof gewählt hat. Die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung wurde erst 2023 in Angriff genommen, als das Projekt längst abgestimmt und beschlossen war. Sie ist immer noch nicht abgeschlossen; abgerissen wird trotzdem. Und weil es von der Stadt keiner wissen wollte, bekamen auch die Untere Naturschutzbehörde und Oberste Naturschutzbehörde in München kaum etwas mit. Bloß kein Aufsehen. Keiner der Stadträte, der dem Projekt zustimmte, kannte den Schulhof von innen. Das ist das komplette Versagen der Politik. Wie man diese ignorante Vernichtung von hochbedrohten Tier- und Pflanzenarten per Stadtratsbeschluß legitimeren kann, ist die große Frage.

Umwelterziehung scheitert

Jetzt kommt die Pädagogik. Dieser Schulhof wurde nach dem „Dillinger Modell der Benutzerbeteiligung“ gebaut. Das ist ein urdemokratisches Verfahren, bei dem die Schüler mitplanen, mitbauen und das fertige Gelände später mitpflegen. Diese Schulhof ist also einer der wenigen, in dem Demokratie gelebt wurde. Etwas ganz besonderes. Mit großer Begeisterung bauten die Schüler Klassenmodelle ihres naturnahen Traumschulhofes; im September 2009 wurden diese umgesetzt. Dazu wurden hunderte Quadratmeter Asphalt und Betonplatten entfernt, ein großer Teil des Geländes entsiegelt und eine wunderschöne modellierte Schulhof-Landschaft geschaffen. Natürlich wurden alle alten Bäume stehengelassen und der alte Baumwall zur Straße ebenfalls. Dadurch herrscht auf dem Schulhof auch an Hitzetagen ein wunderbares Kleinklima. Viel Schatten, viel Natur, viel Naturerlebnis. Sogar einen Teich gibt es – mit Bergmolchen, denen die Kinder in den Pausen nachstellen. Falls sie nicht mit der Schwengelpumpe Wasser in den Bachlauf pumpen und dort spielen. Oder sich nicht in eine der vielen heiß gewünschten stillen Schattenecken verziehen. Da wo kein Lehrer hingucken kann.

Ein ideale Form von gelebter Demokratie entstand hier. Neben unzähligen Schülern, ihren Eltern und dem Kollegium waren auch Freiwillige aus Deutschland und Luxemburg am Bau beteiligt. Ein Leuchtturm-Projekt. Hier startete der erste Naturgarten-Profi-Kurs des Naturgarten e.V. Ich selber plante und baute mit, leitete die Pflege jahrelang und hatte einen Riesenspaß mit den Kindern, die ihren Spaß mit dem Schulhof hatten. Noch heute stehen Schilder in den Beeten: „Bitte auf die Pflanzen achten“. Das haben die Schüler alle Jahre gelebt und auch deswegen ist dieser Natur-Erlebnis-Schulhof einer meiner schönsten in ganz Deutschland. Er ist auch ein Vorbild für tatsächlich gelebte Umwelterziehung. Nirgendwo in den Privatgärten und im öffentlichen Grün in Unterschleißheim gibt es so viele heimische Wildpflanzen wie hier. Der Natur-Erlebnis-Schulhof ist Umwelterziehung pur für die Zukunft,

Und jetzt? Läuft das übliche Modell Verfahren: Stadt bezahlt, Landschaftsarchitekt plant, Firma baut. Das ist ein pädagogischer Rückzieher sondergleichen. Noch ein Projekt, das an den Köpfen und Füßen seiner Benutzer vorbei läuft. Denn jetzt kommt der Plan. Warum hat sich das von der Stadt Unterschleißheim beauftragte Planungsbüro vor diesen Karren spannen lassen? Gegen dieses pädagogische Musterbeispiel gelebter Demokratie kann man als Planungsbüro nur verlieren. Und noch dazu mit einem Retortenplan. Das ist die übliche Bankrotterklärung eines Landschaftsarchitekturbüros. Ein bunter Plan, der mit der gebauten Wirklichkeit nichts zu tun hat. Natürlich ist man hochaktuell und pflanzt sogar einen Klimawald, in dem kleine Bäume in einem geometrischen Raster viel zu dicht gesetzt werden. Für eine neue Turnhalle und den Klimawald wird der sehr breite, schon sehr alte Baumwall weggerissen, der nicht nur Lärmschutz und Schatten bot, sondern auch jeder Menge Tiere Lebensraum. Alte, große Bäume sind in Zeiten des Klimawandel durch ein Klimawandelwäldchen nicht zu ersetzen.

Bei diesem Projekt verlieren alle. Die Politik ihr Ansehen, der Naturschutz seine Würde, die Pädagogen ihre Achtung, die Planer ihren Ruf, die Tiere ihre Lebensräume und die Kinder ihre Heimat.

Dr. Reinhard Witt

Lieblstr. 10 i

93059 Regensburg

www.naturgartenplaner.de

witt@naturgartenplaner.de