„Wir sind nur Gast auf Erden“

Naturnahe Grabgestaltung

Mit diesen Worten beginnt ein Kirchenlied von 1935. Es ist auf dem Grabstein unseres Familiengrabes zu lesen. So sollten wir uns auch verhalten und in diesem Fall werden die zwei Quadratmeter als kleines Refugium für Fauna und Flora sogar an die Natur zurückgegeben. Werden / Sein / Vergehen / Neubeginn – im Naturnahen ist der Lebenskreislauf begreifbar, weil sichtbar.

„Wenn ich mal drin liege, kannst Du machen, was Du willst!“, so lauteten bis vor kurzem die Worte meiner Mutter, wenn ich ihr eine naturnahe Grabgestaltung schmackhaft machen wollte. Schließlich zählt jeder Quadratmeter. Doch die trockenen, heißen Sommer haben auch ihr die Grabpflege verleidet. Besonders die bepflanzte Schale mit saisonalem Wechselflor schrie fast täglich nach Wasser, um Hitzeschäden sowie Sonnenbrand zu vermeiden.

Als Spiegel des Zeitgeistes sind mittlerweile viele Grabgestaltungen ein Abbild der sog. „Gärten des Grauens“, die irrtümlicherweise als pflegeleicht angesehen werden.

Ja, Bestattungs- und Trauerkultur sind sehr emotionale Themen und der soziale Druck ist hoch. Umdenken und Veränderung sind nicht leicht!

Geht man allein in Deutschland von ca. 32.000 Friedhöfen mit insgesamt ca. 32.000.000 Gräbern aus und würde im Schnitt mit einer Fläche von nur einem halben Quadratmeter rechnen, käme immerhin eine imposante Fläche von 1600 Hektar zusammen. Diese naturnah angelegt, also mit heimischen Pflanzenarten und kleinen Habitatstrukturen, würde bereits die Biodiversität ungemein steigern. Friedhöfe sind generell wichtige Trittsteinbiotope und Klimainseln im Siedlungsraum und naturbelassen bzw. bei naturnaher Gestaltung solche mit einer gesteigerten Qualität. Aufgelassene Gräber und Gräberfelder nehmen immer mehr zu. Sie drängen sich förmlich auf, zukunftsfähig gestaltet zu werden.

Das Optimum wäre natürlich, wenn sich die ganze Struktur eines Friedhofes in diese Richtung bewegen und sich dadurch zu einer beliebten Begegnungsstätte der Angehörigen und anderer Gäste etablieren würde. Der Friedhofsgang wäre dann keine eintönige Routine mehr und für Kinder würde er zum Erlebnis werden.

Meine nachfolgenden Überlegungen sollen der Anregung zu einer kurzfristigen, sinnvollen Umgestaltung durch die Pächter*innen bereits vorhandener Erdgrabstätten dienen:

  • Vorab ein Blick in die Friedhofssatzung: Grünes Licht, wir sind auf der sicheren Seite.
  • Verwunderte, neugierige Blicke von und interessierte Gespräche mit Passanten schon während des Baus. Ist es doch das erste Grab auf diesem Friedhof, das naturnah und artenreich in dieser Form angelegt wird – und das kurz vor Allerheiligen.
  • Beim starken Rückschnitt des Efeus fliehen vorerst ein paar Schnecken und Marienkäfer. Sicher kommen sie gerne nach der Umgestaltung zurück. Hauswurz wird gesichert, bepflanzte Schalen entfernt. Viel mehr ist nicht zu tun – schon ist das Grab leer.
  • Vorhandener Rindenmulch wird größtenteils entfernt und etwas reifer Kompost in die ausgelaugte Erde eingearbeitet.
  • Die klimaresilienten Initialstauden (Kartäusernelke, Zittergras, Edelgamander, Hauswurz (Bestand), Hohe Fetthenne) sind heimisch. Zusammen mit den fast 200 gesteckten Geophyten (Weinbergtulpe, Schachbrettblume, Krokus, Traubenhyazinthe, Alpenveilchenartige Narzisse) werden sie vom zeitigen Frühjahr bis Spätherbst mit Blühaspekten sowie mit reichem Pollen- und Nektarangebot punkten. Über das Zittergras haben sich Regenwürmer besonders gefreut und kurzerhand Blätter zu sich in den Boden gezogen.
  • Altes krummes Rebholz und ein paar größere Steine geben sofort Struktur und Lebensraum. Kurze Zeit später werden schon ein paar Pilze pittoresk aus dem Holz herauswachsen.
  • Als Mulch und Substrat dient regionaler Kalkschotter 0/32, also mit Feinanteil. Das ist wichtig und unterscheidet diese Gestaltungsmethode von den Zierkiesgräbern, bei denen zusätzlich noch Unkrautvlies unter dem Kies verwendet wird.
  • Eine Schale bietet nicht nur Vögeln temporär Wasser zum Auftanken an, sondern allen Lebewesen, die sich hier bald einfinden werden. Früher waren hier auch Eidechsen gern und häufig gesehene Gäste – vielleicht finden sie sich ja wieder ein, wenn es künftig mehr solcher Gräber gibt.
  • Zum Abschluss noch schnell ein paar Samen der zarten, unaufdringlichen und mehrjährigen Rundblättrigen Glockenblume verteilt. Bei ein- und zweijährigen Arten sollte man vorsichtig sein, ihre Ausbreitungsdynamik nicht unterschätzen. Mehr Pflegeaufwand müsste hier einkalkuliert werden.
  • Wer etwas mehr Fläche zur Verfügung hat, kann durch Kleinsträucher, wie z. B. Kopfginster, schöne Akzente setzen.
  • Vielfalt für Vielfalt! In der Komposition sollten viele verschiedene Pflanzenfamilien berücksichtigt sein, um viele spezialisierten Lebewesen zu unterstützen. Durch Zwerggehölze, Leit-, Begleit- und Füllstauden, Bodendecker sowie Streupflanzen (Zwiebel- und Knollenpflanzen) wird die Oberfläche beschattet und somit vor Austrocknung und ungewolltem Samenanflug geschützt.
  • Unser Familiengrab ist stark der Sonne ausgesetzt. Schattigere Lagen empfehlen sich für dafür angepasste Pflanzengesellschaften und für ein eher humoses, statt mineralisches Substrat. Ein Blick in die Natur ist hilfreich für das Konzept.
  • Pünktlich zum Feierabend verziert noch ein herangewehtes Blatt das Grab. Die Hand meines Vaters will schon danach greifen. „Stopp! Schau doch wie schön es aussieht!“, rufe ich. Es ist ein Prozess, das Verstehen und Liebenlernen. Und es kommt eben auch auf das Umfeld an, denn wenn Blätter auf eigentlich sterilen Zierkies / -schottergräbern oder Gräbern mit Vollabdeckung liegen, mag das schon für viele Menschen befremdlich aussehen.

Inzwischen geht mein Vater oft ans Grab, weil es immer etwas Neues zu sehen gibt. Wie soll das erst zur Vegetationszeit werden, wenn dort das Leben tobt?

So, jetzt einfach in Ruhe lassen! Pflege unerwünscht! Die heimischen Pflanzen werden über den feuchten Winter gut einwachsen und angewehtes organisches Material wird sich in den Strukturen festsetzen und der Ernährung und dem Schutz der kleinen Lebensgemeinschaft dienen. Über Nachahmer würden wir uns alle sehr freuen.

Wer noch mit einer naturnahen Umgestaltung zögert, sollte einen Blick in den Entsorgungscontainer werfen. Hier liegt der hochgezüchtete Wechselflor, wie die beliebte Dipladenia, die unserer Fauna nichts zu bieten hat und deren kompletter Lebenszyklus alles andere als ressourcenschonend ist, als Wegwerfware. Nippes und Zierkies aus Fernost sowie Unkrautvlies stehen ihr in nichts nach.

Langfristig wird sich die Bestattungs- und Trauerkultur verändern und noch nachhaltigere, umweltfreundlichere und biodiversitätsförderndere Wege gehen. Erste Schritte kann man bereits seit einiger Zeit erkennen: Urnenbäume, naturnahe Urnenwiesen, Ribbecksche Gärten / Streuobstwiesen als Urnenfelder, Friedweinberge, etc.

Schauen wir, was noch kommt!

Autorin: Petra Stripp-Scheuring

Literaturempfehlung: „Der Friedhof lebt!“ von Sigrid Tinz