Klimaanpassung mit „Klimabäumen“ – heimische/gebietseigene oder gebietsfremde Arten?
Zusammenfassung: Bei der Neupflanzung von Straßenbäumen müssen die Effekte des Klimawandels bedacht werden. Auf der Suche nach geeigneten „Klimabäumen“ werden wenige heimische und viele gebietsfremde Arten empfohlen. Eine einflussreiche Liste von Gartenamtsleitern und dem Bund Deutscher Baumschulen empfiehlt u.a. auch gebietsfremde Arten aus Nordamerika, die von einheimischen Insekten kaum genutzt werden können – problematisch vor dem Hintergrund der Biodiversitätskrise. Bei der Prüfung geeigneter Bäume auf Klimatauglichkeit steht die Eignung für die heimische Fauna nicht im Vordergrund.
Trockene, heiße Sommer und Starkregenereignisse setzen Stadtbäumen zu. In welchem Maße dies zusammen mit typischen Standortfaktoren zum Absterben oder aufgrund der geringeren Vitalität bei Stürmen zur Entwurzelung beiträgt, müssten valide Analysen aufzeigen.
In der Broschüre „Zukunftsbäume für die Stadt“ schlagen die Gartenamtsleiterkonferenz und der Bund deutscher Baumschulen 65 heimische und nichtheimische „Klimabäume“ vor, die den neuen Problemen gewachsen sein sollen (GALK 2020). Die meisten der dort aufgeführten Bäume stammen aus Süd-Osteuropa und Kleinasien, rund ein Drittel aus Nordamerika und ca. 8 Prozent aus Ostasien.
Im Netzwerk „Zukunftsbäume“ prüfen derzeit acht deutsche Universitäten und Versuchsanstalten 571 Bäume auf ihre Tauglichkeit als „Klima-Straßenbäume“ (Ehsen 2022). Die Ergebnisse eines seit 2018 laufenden Anzuchtversuchs mit 36 Bäumen wurden im Frühjahr 2022 veröffentlicht (s. www.taspo.de Stichwort Zukunftsbäume). Neben einigen heimischen werden vorwiegend gebietsfremde Bäume als geeignete Klimabäume genannt, etwa die Gleditschie (Gleditia triancanthus) und der Amberbaum (Liquidambar styraciflua) aus Nordamerika, der auch schon in der GALK-Liste als „Stadt-Klimabaum“ geführt wird. Und so wundert es nicht, dass Gleditschie und Amberbaum in Hamburg als „Stadt-Klimabäume“ gepflanzt werden (schriftliche kleine Anfrage der Bürgerschaft, 2020).
Geprüft wurden die Kandidaten auf ihre Anfälligkeit gegenüber Blattläusen, Pilzen und Viren, auf Wachstumsparameter wie Stammumfang und -höhe, auf die Wachstumsentwicklung in Abhängigkeit von abiotischen Faktoren und auf den Aufwand für Baumpflegearbeiten (Ehsen 2022).
Vor dem Hintergrund des dramatischen Rückgangs der Fauna plädieren viele Wissenschaftler dafür, bei der urbanen Grünplanung den Klimawandel und die Biodiversität gleichberechtigt in den Blick zu nehmen, um Tieren ein Überleben zu ermöglichen (Wissenschaftlicher Beirat des BMEL 2021). Um für Kommunen, Ämter und Naturschutzverbände Empfehlungen hinsichtlich des Biodiversitätspotentials verschiedener Baumarten geben zu können, sollten gebietsfremde Baumarten auf ihre ökologische Wertigkeit untersucht werden (Böll 2020).
Es sollte insbesondere die Frage untersucht werden, wie viele Insektenarten und -individuen einen Baum in der einen oder anderen Weise nutzen können. Hierzu haben die Schweizer Biologinnen Sandra Gloor und Margrith Hofbauer einen Biodiversitätsindex erstellt, der 2018 im Deutschen Jahrbuch der Baumpflege veröffentlicht wurde (Gloor et. al. 2018). Ihre Untersuchung betrachtet dabei nicht die Mehrzahl der herbivoren Insektengruppen, sondern nur Käfer, Wildbienen, Schmetterlinge, sowie Vögel und Säugetiere. Die „Zukunftsbäume„ aus Nordamerika belegen in dieser Liste zusammen mit dem Götterbaum (Ailanthus altissima) die drei schlechtesten von 70 Plätzen. Allenfalls eignen sich z.B. einige der Bäume aus Nordamerika für Generalisten unter den Insekten, wie die wenig anspruchsvolle Honigbiene. Entsprechend wird in der GALK-Liste für diese Bäume „Bienentauglichkeit“ angegeben.
Unstrittig ist unter Experten, dass vor dem Hintergrund des Klimawandels bei Neupflanzungen auf mehr Artenvielfalt geachtet werden muss, um insgesamt das Anpassungspotential bei sich verändernden Umweltbedingungen zu erhöhen. Viele herkömmliche Arten werden auf jene Standorte beschränkt sein, die ihrer Anpassungsfähigkeit Genüge leisten (Schönfeld 2018). Derzeit stellen Ahorn, Linde und Platane mit ihren Sorten den größten Teil deutscher Straßenbäume (Netzwerk Zukunftsbäume 2022). Eine höhere Artenvielfalt kann ferner bei geeigneter Auswahl zu einer größere Artenvielfalt bei Insekten im urbanen Umfeld führen (Böll 2020).
NaturGarten e.V. hat in NATUR&GARTEN 1/2021 eine Liste geeigneter Baumarten zusammengestellt, die entweder in den Wärmegebieten Mitteleuropas vorkommen und/oder in den beiden ausgewerteten Fundorten Bad Cannstatt und Neumark-Nord gefunden wurden. Die Zahl von Schmetterlingsarten, die die Blätter als Raupen nutzen oder an den Blüten Nektar finden sowie die Zahl der Vögel, die die Früchte fressen, sind in der Liste ebenfalls aufgeführt. Diese Liste weist weit mehr in der Region und angrenzenden Gebieten vorkommende Bäume auf als die GALK-Zukunftsbaumliste.
Eine genauere Untersuchung zum Artenvorkommen der LWG – der Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (Böll, 2020 und 2021) bestätigt diese Forderung. In der Studie wurden bislang nur heimische mit Vertretern aus angrenzenden Ländern und Südosteuropa verglichen. Es handelte sich um Winterlinde (Tilia cordata), Esche (Fraxinus excelsior), Hainbuche (Carpinus betulus) als einheimische Vertreter mit Silberlinde (Tilia tomentosa, Herkunft Niederlande), Blumenesche (Fraxinus ornus, Niederlande) und Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia, Herkunft Südeuropa). Im Ergebnis waren heimische Baumarten quantitativ reicher an Individuen (Böll 2022). Wurden einzelne Ordnungen verglichen, so war das Bild nicht mehr so eindeutig. Insgesamt konnten im Untersuchungszeitraum von April bis Ende September/ Anfang Oktober 88 Arten auf heimischen, 66 Arten auf den Südosteuropäischen Arten nachgewiesen werden, sowie 121 auf Vertretern beider Baumgruppen in Bayern
Für Spinnen wurde keine signifikante Bevorzugung einheimischer Baumarten nachgewiesen.
Bei der Methodik ist zu beachten, dass alle untersuchten Bäume in einem überschaubaren Areal standen.
Zum Einsatz kamen Fensterfallen, Klopfschirme und Gelbtafeln. In den Fensterfallen und Klopfschirmen fanden sich rund 24.000 Insekten, auf den Gelbtafeln 70.000. Gelbtafeln sind sehr attraktiv für Insekten und sie können genau genommen nur die Fauna von einer größeren Fläche nachweisen und nicht das Insektenvorkommen auf einer speziellen Baumart.
Es bleibt unklar, ob seltene Gliedertierarten auf heimischen und/oder gebietsfremden Arten nachzuweisen waren. Im Detail differiert die Biodiversität auf den einheimischen Bäumen zu den gebietsfremden Bäumen je nach untersuchten Arten einzelner Ordnungen. D.h. die Qualität des Artenspektrums ändert sich. Bemerkenswerterweise wird diese LWG-Studie als Begründung für die Auswahl von „Stadt-Klimabäumen“ auch aus Amerika genommen (vgl. Schriftliche Kleine Anfrage der Bürgerschaft, 2020, S. 3). Eine vergleichende Untersuchung der LWG zur Biodiversität zwischen heimischen und gebietsfremden Baumarten aus Nordamerika ist zurzeit in Bearbeitung (Böll 2022).
Eine weitere Empfehlung (Kaltofen 2022) ist Arten und nicht Sorten einzusetzen, weil die einheimische Fauna an die Wildformen der Baumarten angepasst ist (Gloor et. al 2018) und letztere sich auf bestimmte Züchtungsziele konzentrieren (Bundessortenamt). Die Selektion erfolgt auf Unempfindlichkeit gegenüber schwankenden Temperaturen, Trockenheit und Schädlingsresistenz oder auf Winterhärte. Inwieweit bei sich ändernden Umweltbedingungen ihre Anpassungsfähigkeit bewahrt bleibt, ist zurzeit nicht abzusehen.
Die Auswahl geeigneter Stadtbäume sollte auch die Anpflanzungspraxis berücksichtigen. Hier zeigt sich in Untersuchungen (Kalthofen 2022), dass häufig kleine und vor Verdichtung ungeschützte Baumscheiben angelegt werden. Dieses führt zu weniger Wurzeln mit der Folge eingeschränkter Wasseraufnahme und geringerer Standfestigkeit bei Windbruch. Bei unzureichendem Substrat kann der Baum ertrinken (zu lehmiger Boden) oder verdursten. Falscher Unterwuchs, z.B. Gräser, führt zusätzlich zur Konkurrenz um Wasser. Wildstaudenmischungen tragen zur Verbesserung der Bodenstruktur bei und bieten Nahrungsgrundlage für Insekten und hiermit für Vögel, die wiederum Baumschädlinge bekämpfen können. Dies ist wichtig, da die oben genannten Stressoren zu einer erhöhten Anfälligkeit für Parasitenbefall, z.B. Blattläuse, führen. Die Bedeutung der Grünstreifen unter den Bäumen als Lebensraum und Refugium zur Eiablage für Insekten sowie andere Bodenlebewesen wurde auch von Böll (2022) im Zusammenhang mit der LWG-Untersuchung (Böll 2020) hervorgehoben.
Diese bisherigen Ergebnisse lassen sich aus Sicht von Naturgartenplaner zu folgenden Forderungen zusammenfassen:
a. Verschiedene heimische Arten oder Arten aus benachbarten Florenregionen pflanzen, denn nur diese bieten Biotope für einheimische Tierarten für die Anzucht bevorzugt gebietsheimische Herkünfte (autochthon) verwenden, da eine bessere klimatische Anpassung möglich ist!
b. Zusätzliche gebietsfremde Arten sollten aus Süd-bzw. Südosteuropa stammen.
c. Keine Sorten, sondern Arten!
d. Baumart immer dem Standort entsprechend wählen!
e. Baumscheiben mit Unterbepflanzung durch Wildkräuter-Ansaat und -Pflanzung!
f. Ausreichend große Baumscheiben, am besten über 30 cbm!
g. Jüngere Bäume pflanzen, damit sie sich leichter im Boden verwurzeln!
h. Monitoring der Wechselwirkung zwischen Fauna und Klima-Baumarten, um den Erhalt der Biodiversität bei der Planung des urbanen Baumbestandes einzubeziehen!
Literatur:
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) Hrsg. : Die Silberlinde und ihre Sorten als Stadtbaum in LWG, Institut für Stadgrün und Landschaftsbau, 2022 lwg22_silberlinde_als_stadtbaum_bf.pdf
Bürgerschaft Hamburg: Schriftliche Kleine Anfrage: Auswahl der Baumsorten: Biodiversität und Temperaturverträglichkeit sollten entscheidend sein, Drucksache 22/2160 vom 20.11.2020
Dr. Susanne Böll, Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau: „Fieberkurven“ von Stadtbäumen; Leitg. LLD Jürgen Eppel LWG, 2021„Fieberkurven“ von Stadtbäumen (bayern.de)
Dr. Susanne Böll: Arthropodenvielfalt in den Kronen heimischer und nichtheimischer Straßenbäume, mdl. Mitteilung anlässlich des Vortrags Nabu StadtNatur-Tagung 25.11.2022
ist Mitglied im NaturGarten e.V. Regionalgruppe Hamburg seit 2020 und engagiert sich für Öffentlichkeitsarbeit. Sie absolvierte ein Weiterbildungsseminar: Der neue Naturgarten-Gestalten im Einklang mit der Natur in der Bildungsstätte Grünberg, 2022. Sie war langjähriges Mitglied der Steuergruppe „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“ unter Leitung der BUKEA (Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Hamburg). Bis zur Pensionierung im Jahr 2020 war sie als Referatsleitung Naturwissenschaften am Landesinstitut für Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung in Hamburg tätig. Sie unterrichtete nach Ihrem Lehramtsstudium als Lehrkraft für Biologie und Chemie am Gymnasium.
Klimaanpassung mit „Klimabäumen“ – heimische/gebietseigene oder gebietsfremde Arten?
Zusammenfassung: Bei der Neupflanzung von Straßenbäumen müssen die Effekte des Klimawandels bedacht werden. Auf der Suche nach geeigneten „Klimabäumen“ werden wenige heimische und viele gebietsfremde Arten empfohlen. Eine einflussreiche Liste von Gartenamtsleitern und dem Bund Deutscher Baumschulen empfiehlt u.a. auch gebietsfremde Arten aus Nordamerika, die von einheimischen Insekten kaum genutzt werden können – problematisch vor dem Hintergrund der Biodiversitätskrise. Bei der Prüfung geeigneter Bäume auf Klimatauglichkeit steht die Eignung für die heimische Fauna nicht im Vordergrund.
Trockene, heiße Sommer und Starkregenereignisse setzen Stadtbäumen zu. In welchem Maße dies zusammen mit typischen Standortfaktoren zum Absterben oder aufgrund der geringeren Vitalität bei Stürmen zur Entwurzelung beiträgt, müssten valide Analysen aufzeigen.
In der Broschüre „Zukunftsbäume für die Stadt“ schlagen die Gartenamtsleiterkonferenz und der Bund deutscher Baumschulen 65 heimische und nichtheimische „Klimabäume“ vor, die den neuen Problemen gewachsen sein sollen (GALK 2020). Die meisten der dort aufgeführten Bäume stammen aus Süd-Osteuropa und Kleinasien, rund ein Drittel aus Nordamerika und ca. 8 Prozent aus Ostasien.
Im Netzwerk „Zukunftsbäume“ prüfen derzeit acht deutsche Universitäten und Versuchsanstalten 571 Bäume auf ihre Tauglichkeit als „Klima-Straßenbäume“ (Ehsen 2022). Die Ergebnisse eines seit 2018 laufenden Anzuchtversuchs mit 36 Bäumen wurden im Frühjahr 2022 veröffentlicht (s. www.taspo.de Stichwort Zukunftsbäume). Neben einigen heimischen werden vorwiegend gebietsfremde Bäume als geeignete Klimabäume genannt, etwa die Gleditschie (Gleditia triancanthus) und der Amberbaum (Liquidambar styraciflua) aus Nordamerika, der auch schon in der GALK-Liste als „Stadt-Klimabaum“ geführt wird. Und so wundert es nicht, dass Gleditschie und Amberbaum in Hamburg als „Stadt-Klimabäume“ gepflanzt werden (schriftliche kleine Anfrage der Bürgerschaft, 2020).
Geprüft wurden die Kandidaten auf ihre Anfälligkeit gegenüber Blattläusen, Pilzen und Viren, auf Wachstumsparameter wie Stammumfang und -höhe, auf die Wachstumsentwicklung in Abhängigkeit von abiotischen Faktoren und auf den Aufwand für Baumpflegearbeiten (Ehsen 2022).
Vor dem Hintergrund des dramatischen Rückgangs der Fauna plädieren viele Wissenschaftler dafür, bei der urbanen Grünplanung den Klimawandel und die Biodiversität gleichberechtigt in den Blick zu nehmen, um Tieren ein Überleben zu ermöglichen (Wissenschaftlicher Beirat des BMEL 2021). Um für Kommunen, Ämter und Naturschutzverbände Empfehlungen hinsichtlich des Biodiversitätspotentials verschiedener Baumarten geben zu können, sollten gebietsfremde Baumarten auf ihre ökologische Wertigkeit untersucht werden (Böll 2020).
Es sollte insbesondere die Frage untersucht werden, wie viele Insektenarten und -individuen einen Baum in der einen oder anderen Weise nutzen können. Hierzu haben die Schweizer Biologinnen Sandra Gloor und Margrith Hofbauer einen Biodiversitätsindex erstellt, der 2018 im Deutschen Jahrbuch der Baumpflege veröffentlicht wurde (Gloor et. al. 2018). Ihre Untersuchung betrachtet dabei nicht die Mehrzahl der herbivoren Insektengruppen, sondern nur Käfer, Wildbienen, Schmetterlinge, sowie Vögel und Säugetiere. Die „Zukunftsbäume„ aus Nordamerika belegen in dieser Liste zusammen mit dem Götterbaum (Ailanthus altissima) die drei schlechtesten von 70 Plätzen. Allenfalls eignen sich z.B. einige der Bäume aus Nordamerika für Generalisten unter den Insekten, wie die wenig anspruchsvolle Honigbiene. Entsprechend wird in der GALK-Liste für diese Bäume „Bienentauglichkeit“ angegeben.
Unstrittig ist unter Experten, dass vor dem Hintergrund des Klimawandels bei Neupflanzungen auf mehr Artenvielfalt geachtet werden muss, um insgesamt das Anpassungspotential bei sich verändernden Umweltbedingungen zu erhöhen. Viele herkömmliche Arten werden auf jene Standorte beschränkt sein, die ihrer Anpassungsfähigkeit Genüge leisten (Schönfeld 2018). Derzeit stellen Ahorn, Linde und Platane mit ihren Sorten den größten Teil deutscher Straßenbäume (Netzwerk Zukunftsbäume 2022). Eine höhere Artenvielfalt kann ferner bei geeigneter Auswahl zu einer größere Artenvielfalt bei Insekten im urbanen Umfeld führen (Böll 2020).
NaturGarten e.V. hat in NATUR&GARTEN 1/2021 eine Liste geeigneter Baumarten zusammengestellt, die entweder in den Wärmegebieten Mitteleuropas vorkommen und/oder in den beiden ausgewerteten Fundorten Bad Cannstatt und Neumark-Nord gefunden wurden. Die Zahl von Schmetterlingsarten, die die Blätter als Raupen nutzen oder an den Blüten Nektar finden sowie die Zahl der Vögel, die die Früchte fressen, sind in der Liste ebenfalls aufgeführt. Diese Liste weist weit mehr in der Region und angrenzenden Gebieten vorkommende Bäume auf als die GALK-Zukunftsbaumliste.
Eine genauere Untersuchung zum Artenvorkommen der LWG – der Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (Böll, 2020 und 2021) bestätigt diese Forderung. In der Studie wurden bislang nur heimische mit Vertretern aus angrenzenden Ländern und Südosteuropa verglichen. Es handelte sich um Winterlinde (Tilia cordata), Esche (Fraxinus excelsior), Hainbuche (Carpinus betulus) als einheimische Vertreter mit Silberlinde (Tilia tomentosa, Herkunft Niederlande), Blumenesche (Fraxinus ornus, Niederlande) und Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia, Herkunft Südeuropa). Im Ergebnis waren heimische Baumarten quantitativ reicher an Individuen (Böll 2022). Wurden einzelne Ordnungen verglichen, so war das Bild nicht mehr so eindeutig. Insgesamt konnten im Untersuchungszeitraum von April bis Ende September/ Anfang Oktober 88 Arten auf heimischen, 66 Arten auf den Südosteuropäischen Arten nachgewiesen werden, sowie 121 auf Vertretern beider Baumgruppen in Bayern
Für Spinnen wurde keine signifikante Bevorzugung einheimischer Baumarten nachgewiesen.
Bei der Methodik ist zu beachten, dass alle untersuchten Bäume in einem überschaubaren Areal standen.
Zum Einsatz kamen Fensterfallen, Klopfschirme und Gelbtafeln. In den Fensterfallen und Klopfschirmen fanden sich rund 24.000 Insekten, auf den Gelbtafeln 70.000. Gelbtafeln sind sehr attraktiv für Insekten und sie können genau genommen nur die Fauna von einer größeren Fläche nachweisen und nicht das Insektenvorkommen auf einer speziellen Baumart.
Es bleibt unklar, ob seltene Gliedertierarten auf heimischen und/oder gebietsfremden Arten nachzuweisen waren. Im Detail differiert die Biodiversität auf den einheimischen Bäumen zu den gebietsfremden Bäumen je nach untersuchten Arten einzelner Ordnungen. D.h. die Qualität des Artenspektrums ändert sich. Bemerkenswerterweise wird diese LWG-Studie als Begründung für die Auswahl von „Stadt-Klimabäumen“ auch aus Amerika genommen (vgl. Schriftliche Kleine Anfrage der Bürgerschaft, 2020, S. 3). Eine vergleichende Untersuchung der LWG zur Biodiversität zwischen heimischen und gebietsfremden Baumarten aus Nordamerika ist zurzeit in Bearbeitung (Böll 2022).
Eine weitere Empfehlung (Kaltofen 2022) ist Arten und nicht Sorten einzusetzen, weil die einheimische Fauna an die Wildformen der Baumarten angepasst ist (Gloor et. al 2018) und letztere sich auf bestimmte Züchtungsziele konzentrieren (Bundessortenamt). Die Selektion erfolgt auf Unempfindlichkeit gegenüber schwankenden Temperaturen, Trockenheit und Schädlingsresistenz oder auf Winterhärte. Inwieweit bei sich ändernden Umweltbedingungen ihre Anpassungsfähigkeit bewahrt bleibt, ist zurzeit nicht abzusehen.
Die Auswahl geeigneter Stadtbäume sollte auch die Anpflanzungspraxis berücksichtigen. Hier zeigt sich in Untersuchungen (Kalthofen 2022), dass häufig kleine und vor Verdichtung ungeschützte Baumscheiben angelegt werden. Dieses führt zu weniger Wurzeln mit der Folge eingeschränkter Wasseraufnahme und geringerer Standfestigkeit bei Windbruch. Bei unzureichendem Substrat kann der Baum ertrinken (zu lehmiger Boden) oder verdursten. Falscher Unterwuchs, z.B. Gräser, führt zusätzlich zur Konkurrenz um Wasser. Wildstaudenmischungen tragen zur Verbesserung der Bodenstruktur bei und bieten Nahrungsgrundlage für Insekten und hiermit für Vögel, die wiederum Baumschädlinge bekämpfen können. Dies ist wichtig, da die oben genannten Stressoren zu einer erhöhten Anfälligkeit für Parasitenbefall, z.B. Blattläuse, führen. Die Bedeutung der Grünstreifen unter den Bäumen als Lebensraum und Refugium zur Eiablage für Insekten sowie andere Bodenlebewesen wurde auch von Böll (2022) im Zusammenhang mit der LWG-Untersuchung (Böll 2020) hervorgehoben.
Diese bisherigen Ergebnisse lassen sich aus Sicht von Naturgartenplaner zu folgenden Forderungen zusammenfassen:
a. Verschiedene heimische Arten oder Arten aus benachbarten Florenregionen pflanzen, denn nur diese bieten Biotope für einheimische Tierarten für die Anzucht bevorzugt gebietsheimische Herkünfte (autochthon) verwenden, da eine bessere klimatische Anpassung möglich ist!
b. Zusätzliche gebietsfremde Arten sollten aus Süd-bzw. Südosteuropa stammen.
c. Keine Sorten, sondern Arten!
d. Baumart immer dem Standort entsprechend wählen!
e. Baumscheiben mit Unterbepflanzung durch Wildkräuter-Ansaat und -Pflanzung!
f. Ausreichend große Baumscheiben, am besten über 30 cbm!
g. Jüngere Bäume pflanzen, damit sie sich leichter im Boden verwurzeln!
h. Monitoring der Wechselwirkung zwischen Fauna und Klima-Baumarten, um den Erhalt der Biodiversität bei der Planung des urbanen Baumbestandes einzubeziehen!
Literatur:
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) Hrsg. : Die Silberlinde und ihre Sorten als Stadtbaum in LWG, Institut für Stadgrün und Landschaftsbau, 2022 lwg22_silberlinde_als_stadtbaum_bf.pdf
Bundessortenamt: https://www.bundessortenamt.de/bsa/das-bsa/aufgaben
Bürgerschaft Hamburg: Schriftliche Kleine Anfrage: Auswahl der Baumsorten: Biodiversität und Temperaturverträglichkeit sollten entscheidend sein, Drucksache 22/2160 vom 20.11.2020
Dr. Susanne Böll, Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau: „Fieberkurven“ von Stadtbäumen; Leitg. LLD Jürgen Eppel LWG, 2021„Fieberkurven“ von Stadtbäumen (bayern.de)
Dr. Susanne Böll, Rosa Albrecht, Dieter Mahsberg: Stadtklimabäume-geeignete Habitate für die urbane Insektenvielfalt, 2020 Stadtklimabäume – geeignete Habitate für die urbane Insektenvielfalt? (bayern.de)
Dr. Susanne Böll: Arthropodenvielfalt in den Kronen heimischer und nichtheimischer Straßenbäume, mdl. Mitteilung anlässlich des Vortrags Nabu StadtNatur-Tagung 25.11.2022
GALK und Bund deutscher Baumschulen e.V. (Hrsg.): Zukunftsbäume für die Stadt , 2020
Sandra Gloor, Magrith G. Hofbauer: Der ökologische Wert von Stadtbäumen bezüglich der Biodiversität in Jahrbuch der Baumpflege 2018 Gloor_JdB_2018
Karin Kalthofen: mdl. Mitteilung Naturgarten intensiv Tagung 04.- 06.03. 2022. s.a. Homepage: https://naturgartenplaner.de/klimawandel/
NaturGarten e.V. (Hrsg.): Auf der Suche nach klimafesten Pflanzen, S. 91: Liste ausgewählter Klimabäume in Klimawandel-Klimakrise-Klimakatstrophe: Der Naturgarten als Teil der Lösung in einer sich ändernden Welt, Heft 1/2021 s. https://shop.naturgarten.org/natur-garten/172/natur-garten-1/2021-klimawandel-klimakrise-klimakatastrophe
Naturgartenplaner: Landschaftsplanerbüro Reinhardt Witt und Karin Kaltofen https://naturgartenplaner.de/
Björn Ehsen (LVG Bad Zwischenahn): Netzwerk Zukunftsbäume, Ergebnisse eines Anzuchtversuchs in Deutsche Baumschule, 2/2022
Wissenschaftlicher Beirat für Waldpolitik beim BM Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel, 2021 BMEL – Publikationen – Die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel
Philipp Schönfeld: Klimabäume: Welche Arten sind zukunftsträchtig in Pro Baum 03/2018 https://stadtundgruen.de/artikel/klimabaeume-welche-arten-sind-zukunftstraechtig-9570.html
Artikel veröffentlicht in Lynx Druck 2022 (verändert): Extremereignisse und Überlebensstrategien, https://www.fs-hamburg.org/lynx-druck/
Heike Elvers
ist Mitglied im NaturGarten e.V. Regionalgruppe Hamburg seit 2020 und engagiert sich für Öffentlichkeitsarbeit. Sie absolvierte ein Weiterbildungsseminar: Der neue Naturgarten-Gestalten im Einklang mit der Natur in der Bildungsstätte Grünberg, 2022. Sie war langjähriges Mitglied der Steuergruppe „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“ unter Leitung der BUKEA (Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Hamburg). Bis zur Pensionierung im Jahr 2020 war sie als Referatsleitung Naturwissenschaften am Landesinstitut für Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung in Hamburg tätig. Sie unterrichtete nach Ihrem Lehramtsstudium als Lehrkraft für Biologie und Chemie am Gymnasium.
Kontakt:
Heike Elvers
heike.elvers@gmx.de